Verfolgungsbetreuung ist in Deutschland ein polemisches Schlagwort, mit dem den Arbeitsagenturen vorgeworfen wird, gezielt Sperrzeiten für Arbeitslose zu verhängen. Es wird vor allem von Gewerkschaftern verwendet, um die Maßnahmen nach Einführung des Dritten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt im Jahr 2003 zu kritisieren. Im Zusammenhang mit dem Sozialgesetzbuch II (SGB-II) wird der Begriff in der Diskussion um das Konzept des “aktivierenden Sozialstaats” verwendet.
Der Begriff geht auf Presseberichte zurück, wonach das Wort Verfolgungsbetreuung in einigen Arbeitsagenturen verwendet wurde. Er wurde verwendet, um Aktivitäten zu bezeichnen, die eine Einstellung der Leistungen bewirken sollten. Heute wird der Begriff zur Beschreibung von Aktivitäten verwendet, die im Vereinigten Königreich zum Verlust von Leistungen führen können. Er wird auch in den USA vom Department of Health and Human Services verwendet.
Begriffsgeschichte
Personalräte der Bochumer Arbeitsagentur, die in Ver.di organisiert sind, griffen 2003 den Begriff “Verfolgungsbetreuung” in den Arbeitsagenturen auf, um eine “Intensivierung” ihrer Aufgaben zu charakterisieren. Sie bemängelten einen Sparzwang der Bundesagentur für Arbeit: Das Spar-Zauberwort heißt Sperrzeit.
Der Begriff wird in der Debatte um das Konzept des aktivierenden Sozialstaats verwendet. Es wird auf das Phänomen der “Verfolgungsbetreuung” hingewiesen und die Herkunft des Begriffs hervorgehoben. Der Begriff entstand als Selbstkritik von Arbeitsamtsmitarbeitern an ihrem Verhalten, Hitlisten für Sanktionssperren zu führen.
In den Sozialwissenschaften wurde der Begriff von einzelnen Forschern aufgegriffen, um ihre Theorie einer “krisenhaften” Entwicklung des Sozialstaates zu illustrieren. In Gewerkschaftskreisen und Arbeitsloseninitiativen bezeichnet er die Schikanierung der Betroffenen durch mehr oder weniger subtilen Druck.
Uwe-Dietmar Berlit, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, hält die “von den betroffenen Kreisen als ‘Verfolgungsbetreuung’ kritisierte Praxis” für rechtswidrig. Berlit mahnt die unbefriedigende Regelung der Eingliederungsvereinbarung an, die einen “ausdrücklichen Zumutbarkeitsvorbehalt” vermissen lasse
Der Begriff im Diskurs um den Sozialstaat
Die Gewerkschafterin Dorothee Fetzer sieht in dem, was sie Verfolgungsunterstützung nennt, eine Strategie der Disziplinierung und Ausgrenzung. Helga Spindler, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Duisburg-Essen, stellt hier einen “restriktiven Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik” fest.
Der Missbrauch von Sozialleistungen und Sozialhilfe ist ein Thema in den Medien und bei Experten aus Wissenschaft und Verwaltung. Experten betonen den Konflikt zwischen der Aufgabe der Beratung und Unterstützung der betroffenen Bürger einerseits und der Kontrolle und Sanktionierung andererseits. Bundesarbeitsminister Clement forderte “Sofortmaßnahmen zur Verhinderung oder Aufdeckung von Leistungsmissbrauch”.
Zielkonflikte in der sozial-behördlichen Praxis
Neben der Beratung und Unterstützung stehen auch Sparlogiken auf der Tagesordnung und führen zu Zielkonflikten. MitarbeiterInnen von Sozialbehörden haben nicht nur die Aufgabe, Hilfsbedürftige zu betreuen und zu beraten, sondern sind auch AnsprechpartnerInnen für Hinweise auf “Schwarzarbeit” und “illegale Beschäftigung”
Die Bundesagentur richtet ihre “Leistungen” nach einer “Einsatzlogik” aus, die zwischen Hilfebedürftigen (Kunden) und solchen, die den “Schadensfall” des Leistungsbezugs vermeiden wollen, differenziert. Die Hilfesuchenden werden in Segmente eingeteilt und als “Marktkunden”, “Beratungskunden – aktivierend” und “Betreuungskunden” kategorisiert
Die vier geschäftspolitischen Schwerpunkte der Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2003 waren auf die Beratung und Betreuung von Arbeitslosen ausgerichtet. Das geschäftspolitische Rundschreiben der Bundesagentur vom 7. März 2003 benennt “den Abbau der Arbeitslosigkeit und einen BA-Haushalt ohne Bundeszuschüsse als wesentliche Ziele” Die Evaluation nennt folgende Schwerpunkte: Verhinderung und Beendigung von individueller Arbeitslosigkeit, rasche Eingliederung, Bekämpfung von Schwarzarbeit und Leistungsmissbrauch.
Im Jahr 2002 veröffentlichte die Bertelsmann-Stiftung das Handbuch “Beratung und Integration”. Das Handbuch propagiert den Abbau der traditionellen “Schutzrechte” des Bürgers. Der Fallmanager soll gegenüber dem Arbeitslosen die Rolle des “Lehrers, Predigers, Freundes und Polizisten” übernehmen.
Peter Barthelheimer vom Soziologischen Forschungsinstitut der Georg-August-Universität Göttingen stellt in seinem 2006 erschienenen Tagungsbeitrag “Wo der Kunde nicht König ist” fest, dass “durch die Kopplung von Dienstleistung und Geldleistung” die Hilfesuchenden (Adressaten) zu “Zwangskunden” der Sozialbehörden werden.
Kritik
Die Kritik richtet sich insbesondere gegen die polemische Zielsetzung des Begriffs, der bereits im Namen die Abwertung der Reformmaßnahme enthält. Die Kritiker der Kontrollmaßnahmen übersehen, dass es bereits seit 1994 einen automatischen Abgleich zwischen Rentenversicherung und Sozialämtern und anderen Sozialversicherungsträgern gab.
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